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Corona: Erleichterungen bei Gesellschafterbeschlüssen

RB aktuell: COVID-Abmilderungsgesetz schafft Erleichterungen bei Gesellschafterbeschlüssen
Wie können Gesellschafter- oder Hauptversammlungsbeschlüsse rechtssicher gefasst werden, wenn aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie keine physische Gesellschafterversammlung abgehalten werden kann?
Diese Frage hat sich nun auch der Gesetzgeber gestellt und in dem Gesetz zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BT-Drs. 19/18110) einige kurzfristige Erleichterungen vorgesehen, die ab sofort für alle Gesellschafter- oder Hauptversammlungsbeschlüsse gelten, die im Jahr 2020 gefasst werden.
Bei Aktiengesellschaften hat der Gesetzgeber Formen und Fristen flexibler gestaltet und die Grundlage für eine virtuelle Hauptversammlung ohne Präsenz der Organe und Aktionäre geschaffen. Insbesondere hat der Gesetzgeber Folgendes neu eingeführt:
- Der Vorstand kann entscheiden, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, sofern
- die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt,
- die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
- den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird, und
- den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach Nummer 2 ausgeübt haben, unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.
- Der Vorstand kann vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind und er entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet.
- Die Entscheidungen über die virtuelle Hauptversammlung kann der Vorstand der Gesellschaft auch ohne Ermächtigung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung treffen.
- Der Vorstand kann die Hauptversammlung trotz abweichender Regelungen in der Satzung mit einer auf 21 Tage verkürzten Frist einberufen.
- Der Vorstand kann entscheiden, dass die Hauptversammlung auch erst in der zweiten Hälfte des laufenden Kalenderjahres stattfindet (dies gilt allerdings nicht für die SE, bei der es bei der Frist zum 30. Juni verbleibt).
- Die Anfechtung eines Beschlusses der Hauptversammlung kann nicht auf die Verletzungen der obigen neuen Erleichterungen gestützt werden, es sei denn, der Gesellschaft ist Vorsatz nachzuweisen.
Diese Änderungen sind grundsätzlich zu begrüßen und stellen eine echte Alternative für jede Aktiengesellschaft dar, da zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehbar ist, ob und wann „normale“ Hauptversammlungen mit über 50 oder 100 oder noch mehr Aktionären wieder möglich sind. Allerdings stellen sich auch eine Vielzahl von spannenden Fragen bei der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung, weil – unabhängig von der SARS-CoV-2-Pandemie – die Aktionärsrechte und bei notariell zu beurkundenden Versammlungen auch die notariellen Hinweis- und Beurkundungsvorschriften weiterhin beachtet werden müssen. So muss gesichert sein und bleiben, dass jeder Aktionär auch tatsächlich virtuell teilnehmen, Fragen stellen und seine Stimme abgeben kann. Und obwohl der Gesetzgeber die Anfechtbarkeit von virtuell gefassten Hauptversammlungsbeschlüssen wegen der neuen Erleichterungen möglichst ausschließen will, bleibt die Aktiengesellschaft dazu verpflichtet, bei etwaigen Problemen die technische Funktionsfähigkeit der Teilnahme auch nachzuweisen. Eine enge Abstimmung zwischen der rechtlichen und der technischen Durchführung ist deshalb empfehlenswert. Sollte die technische Gewährleistung einer rechtlich möglichen Hauptversammlung nicht oder nicht kurzfristig möglich sein, wird tatsächlich auch die vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit interessant, die Hauptversammlung erst im zweiten Halbjahr 2020 durchzuführen.
Im GmbH-Recht hat der Gesetzgeber im neuen Gesetz die Möglichkeit vorgesehen, Gesellschafterbeschlüsse auch dann außerhalb von Gesellschafterversammlungen zu fassen, wenn sich nicht alle Gesellschafter mit dieser Art der Beschlussfassung einverstanden erklären. Abweichend vom bisherigen § 48 Abs. 2 GmbHG soll damit eine Beschlussfassung außerhalb einer Gesellschafterversammlung auch dann möglich sein, wenn nur eine beschlussfähige Mehrheit einverstanden ist bzw. sich an der Abstimmung beteiligt. Ausreichend nach dem Wortlaut der neuen Regelung ist insoweit eine schriftliche Stimmabgabe oder eine Beschlussfassung in Textform, also insbesondere per E-Mail, Telefax oder sonstiger elektronischer Kommunikation.
Diese Regelung ist grundsätzlich ebenfalls zu begrüßen. Sie wirft aber auch viele Fragen auf: Unklar ist zunächst, in welchem Verhältnis die neue gesetzliche Regelung zu den jeweiligen Gesellschaftsverträgen steht. Während der Gesetzgeber bei der Aktiengesellschaft klargestellt hat, dass entgegenstehende Satzungsregelungen nachrangig sind, fehlt eine solche Regelung im GmbH-Recht. Unklar ist zudem, ob Minderheitsgesellschafter mit zusammen mehr als 10 % der Stimmen weiterhin gemäß § 50 GmbHG eine echte Gesellschafterversammlung verlangen können oder ob auch sie auf den Weg einer Beschlussfassung in Textform verwiesen werden können. Schließlich ist fraglich, welche rechtlichen und technischen Voraussetzungen an die Einberufung einer Beschlussfassung in Textform zu legen sind: Wenn ein Gesellschafter überhaupt nicht zu einer Beschlussfassung oder Versammlung eingeladen wird, dann ist der dort gefasste Beschluss nach allgemeiner Ansicht nichtig und der Gesetzgeber hat in dem aktuellen Gesetz in keiner Weise angedeutet, dass er hiervon abweichen will – die GmbH muss deshalb für eine wirksame Beschlussfassung auch in Corona-Zeiten rechtssicher nachweisen, dass sie jeden Gesellschafter zu der Beschlussfassung eingeladen hat, weshalb die GmbH noch immer Zustellnachweise oder Empfangsquittungen einholen sollte. Insbesondere wegen der unklaren Rangfolge zum Gesellschaftsvertrag sollte zudem in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Satzung nicht doch strengere Anforderungen an eine Beschlussfassung ohne Versammlung vorsieht, die auch zu Zeiten der Corona-Krise einzuhalten sind.
Für Personengesellschaften und Vereine sieht der Entwurf keine Besonderheiten im Hinblick auf die Beschlussfassungen vor. Inwieweit die Regelung zur Aktiengesellschaft oder zur GmbH analog angewendet werden können, bleibt abzuwarten. Ebenfalls sind bei diesen Rechtsformen die Besonderheiten in den jeweiligen Gesellschaftsverträgen und Satzungen zu beachten.
Fazit: Der klare Wille des Gesetzgebers ist in dem neuen Gesetz niedergeschrieben, virtuelle und elektronische Beschlussfassungen zu fördern und insbesondere die Form- und Verfahrensvorschriften angesichts der Besonderheiten während der Corona-Krise aufzulockern. Um die Rechtssicherheit der so gefassten Beschlüsse aber nicht (noch mehr) zu gefährden, sollte weiterhin in jedem Einzelfall geprüft und entschieden werden, wie und auf welche Weise die Einberufung zu erfolgen hat und wie sichergestellt werden kann, dass die neuen Regelungen und auch die unverändert fortgeltenden anderen gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben eingehalten werden können.